Von Oranienburg nach Anklam
Am 2. Mai haben wir unser neues Zuhause etwas wehmütig abgeschlossen und sind Richtung Oranienburg losgefahren. Wir haben unsere «Fenna» in guter Verfassung angetroffen und haben uns wieder eingerichtet. Ein paar Tage später ist bereits unser erster Besuch, Bruder Hannes mit seiner Frau angekommen und wir lösten am Freitag die Leinen Richtung Osten.
Nach ein paar Kilometer hatten wir bereits eine Panne, denn aus dem Auspuff kam kein Wasser sondern nur Wasserdampf... Glücklicherweise war die Temperatur noch im grünen Bereich. Wir entschieden uns, am nächsten Steg im Lehnitzersee anzulegen und nach der Ursache zu suchen. Der Eingang des Seewasserfilters war mit Laub verstopft, so dass nur noch ganz wenig Wasser floss. Mit einer grossen Holzschraube konnten wir den Pfropfen herausziehen und der Kühlung war wieder gewährleistet.
Über den Havel-Oder Kanal sind wir in den Finow-Kanal, den wir dann nach 2 Schleusen und einer Übernachtung wieder zurückgefahren sind, da die letzte Schleuse im Umbau ist und damit bis im Juni eine Sackgasse besteht. Diese alte Route ist aber äusserst charmant und wir haben uns gesagt, dass wir die ganze Strecke fahren möchten, wenn sie wieder offen ist.
Somit fuhren wir weiter auf dem Havel-Oder Kanal bis zum Hebewerk Niederfinow und liessen uns rund 40m in die Tiefe senken. Ein technisches Meisterwerk, das auch optisch einen ersten Höhepunkt unserer neuen Saison darstellt.
In Schwedt an der Westoder, kurz vor der polnischen Grenze und Stettin angekommen, haben wir einen Zweitagesaufenthalt eingeschaltet und unseren Besuch wieder auf den Zug begleitet. Unsere Entdeckung geht weiter nordostwärts und wir erreichen in Polen die Stadt Stettin.
Stettin ist mit 780‘000 ähnlich grosse Stadt wie Zürich. Allerdings ist der Lebensstandard deutlich praktischer und einfacher. Der schweizerische Perfektionismus ist nur noch in unseren Köpfen. Es gibt eine touristische Stadtroute, die wir mit einem Stadtplan und Hund Benjo absolvieren. Doch Fahrzeuge haben überall Oberhand und so bleibt die Stadt im Hochglanzlook aus dem Prospekt als Erinnerung.
Die innere Unruhe treibt uns weiter. Zwei Tage in der Stadt ist genug und wir haben das Bedürfnis nach mehr Wasser und Natur. Wir legen ab und fahren auf der Westoder durch den Seehafen, der durch Binnenschiffe und Meerschiffe angelaufen wird, auf die «richtige» Oder. Das Wetter ist windig und kühl. Trotzdem sind wir erleichtert, wieder unterwegs zu sein. Wir lassen die Industriegegend von Stettin hinter uns. Der Fluss hat eine geringe Strömung und wird immer breiter.
Nach 30 km mündet sie in die Stettiner Haff, ein riesiger See 52 km lang und 22 km breit und damit nur wenig kleiner als das Ijsselmeer in den Niederlanden. Ein grosser Teil dieses Wassers ist untief. Wir haben uns an Fahrrinnen zu halten, die 3-4m tief sind. Rote und grüne nummerierte Tonnen zeigen den Weg. In der Seekarte auf dem PC finden wir die Bestätigung am richtigen Ort zu sein. Geraten wir etwas aus dieser Fahrbahn, zeigt der Tiefenmesser sofort unangenehme 1.6 m unter dem Kiel. Wir haben Windstärke 5 von Norden und so fahren wir in diesem flachen Gebiet gegen kurze, schnelle Wellen. Mit Kurs 080 laufen wir Stepnica an und haben damit den Seegang noch kurz seitlich. Unser Schiff rollt spürbar als wollte es uns sagen, «das passt mir nicht».
Der Wellengang nimmt schnell ab, je näher wir dem Ufer kommen. Der Hafen ist in einem kleinen Kanal neu angelegt und hat gute Poller zum Festmachen. Nach 400m endet er in einer Sackgasse. Dort steht der Wohnwagen des Hafenmeisters. Zum zweiten Mal machen wir die Erfahrung, dass diese Leute kein Wort Deutsch verstehen, obwohl sie so nahe an der Grenze leben. Glücklicherweise hat Schwiegertochter Rahel eine polnische Mutter und spricht die Sprache perfekt. So kommuniziert der Hafenmeister lautstark mit dem Handy in die Schweiz und Rahel gibt uns die Informationen auf Mundart wieder… Es klappt hervorragend.
Die Mentalität der Polen, die wir hier antreffen ist deutlich anders als wir es mittlerweile von Deutschland kennen. Sie sind sehr zurückhaltend, ja fast scheu uns gegenüber. Niemand grüsst uns, wenn wir mit dem Hund unterwegs sind. Untereinander sind sie laut und intensiv. Aus Schweizer Sicht, würden wir vermuten, dass sie Krach haben und dass es demnächst zu Handgreiflichkeiten kommt. Doch Rahel lässt uns entspannen, das sei einfach ihre Art, nichts Bedrohliches, einfach anders. Vor Benjo haben sie sehr Respekt. Wir beobachten, dass es nur wenige Hunde an der Leine gibt, dafür bellt hinter fast jedem Gartenzaun ein Artgenosse. Benjo animiert sie trotz diesem Lärm zum Spiel und hat immer wieder Erfolge. Dann rasen beide Vierbeiner dem Zaun nach.
Die Umgebung ist sehr beschaulich und ruhig. Im Hafen sind wir gut geschützt und ohne Wellen. Das Dorf ist zu Fuss in 10 Minuten zu erreichen. Es ist eine einfache Gemeinde, ab vom Tourismus oder von einer Stadt. Die Strassen sind dürftig in Stand gehalten, die Vorplätze zu den Häusern sind wenig gepflegt und jedes Haus ist, wie erwähnt, eingezäunt. Wir finden einen grösseren Laden, wo wir alles für die nächsten Tage besorgen können. Auch eine Polnische SIM Karte für die Datenübermittlung finden wir zum Spotpreis, sodass wir weiter «online» sein können.
Das Wetter wird ruhiger und so können wir am 2. Tag auslaufen. Wir haben Windstärke 3-4 und können über das Stettiner Haff weiterreisen. Das Tagesziel ist die halbe Strecke dieses riesigen Sees, bis nach Altwarp, das erste Städtchen, das wieder in Deutschland liegt. Der Wind frischt bis 5 Bf auf. Unser Schiff fährt völlig ruhig, da die Wellen von hinten kommen, oder wie wir unter Wasserwanderer sagen: 5 Bf, NNO, von achtern. Das Dorf am Südufer ist ausgestorben. Doch vieles deutet darauf hin, dass hier in der Saison viel los ist: Fischbrötchen-Stände, Restaurants, Ferienhäuser, Wegweiser zu den Dünen, Tafeln mit geschichtlichen Kurzbeschreibungen einzelner Häuser und Plätze, der Campingplatz mit doch schon von 4 Wohnmobilen belegt.
Am nächsten Tag geht’s weiter nach Karnin, Lassan und Anklam, die erste Station an der Peene. Seit Tagen sind wir alleine unterwegs, was uns fast etwas beunruhigt. Um die Mittagszeit kommt uns das erste Boot entgegen. Ein Boot des Zoll. Zum ersten Mal seit über 2 Jahren werden wir kontrolliert: Pässe, Schiffspapiere und die Farbe des Diesel werden überprüft. Roter Diesel ist steuerbefreit und wird landläufig Heizöl genannt. Damit zu fahren ist verboten und wird in der Regel auch kontrolliert. Die Beamten des Zolls und der Bundespolizei sind sehr zuvorkommend. Eine weitere positive Erfahrung!
Die Peene fliesst in einem Niedermoor, einem Tal von rund 100 km. Während der Weltkriege wurde hier Torf gestochen, das als Heizmaterial verwendet wurde. Es ist ein riesiges Naturschutzgebiet mit vielen Vögeln und angeblich über 30 Fischarten. Am Abend sehen wir Biber ihre Runden ziehen. Leider sind sie sehr scheu und wir sehen sie nur aus der Ferne. Wir fahren in 3 Tagen bis nach Malchin, wo für uns die Route endet, da wir zu hoch sind. Es können lediglich Kanus und Ruderboote noch weiter fahren.
Es ist Wind bis 8 Bf angesagt und auf der letzten Strecke über den Kummerowersee setzt er voll ein und wir haben Wellen von gut 1.5m Höhe. Glücklicherweise überholen sie uns von hinten und so fahren wir trotzdem ruhig durchs Wasser. Allerdings wäre ein Umkehren und damit das Drehen des Schiffes in diesen Wellen mit herumfliegendem Haushalt verbunden. So schätzen wir uns glücklich als wir in die letzte Mündung des Flusses fahren und wieder durch Bäume und Schilf geschützt werden.
In Malchin können wir an den Pfählen der Fahrgastschiffe, die unregelmässig hier vorbeikommen, anlegen. Trotzdem zerrt der Sturm weiter an den Tauen und die Nacht wird etwas unruhig: sind wir wirklich gut festgebunden…?
Hier in Malchin erwarten wir unsere Gäste. Schwester Franziska und ihr Lebenspartner Erich kommen über Auffahrt zu uns. Die folgenden 4 Tage steuert Erich unsere Fenna auf der Peene zurück nach Anklam. Es sind gemütliche Tage. Neben dem Fahren bleibt viel Zeit für Gespräche und Diskussionen, die im Alltag oder an einem Abend nicht möglich sind. Wir erinnern uns an unsere Kindheit und an die Familie, wir philosophieren über die heutige Zeit und wir verbessern die Welt.